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17.01.24

Albrecht Josephy-Hablützel
29. Juni 1926 in Rostock – 6. Januar 2024 Riehen/Basel

Ein sonniger Julitag im Jahr 2014, ich bin mit Albrecht in der Steintor-Vorstadt unterwegs. Das Haus in dem er aufgewachsen ist, gibt es nicht mehr, Graf-Schack-Straße 8, im Krieg zerstört. „Mein Vater, Richard Josephy, hat das Haus im Jahr 1927, gekauft und nach seinen Vorstellungen umbauen lassen. An der Seite wurde ein großes Fenster eingesetzt, hinter dem meine Mutter ihre Kakteen zog. Die Verwandtschaft war darüber sehr verwundert: ‚Wollen die jetzt eine Bäckerei aufmachen?’, hieß es. Große, offene Fenster kamen langsam auch in Rostock in Mode, doch neusachliches Bauen war oft noch sehr verpönt.“
Über seine Familie erzählt er: „Mein Vater lebte seinen jüdischen Glauben nicht, ging kaum in die Synagoge, engagierte sich jedoch stark für die Belange der jüdischen Gemeinde in Rostock und in Mecklenburg. Die Frage der unterschiedlichen Religionen des Vaters und der Mutter spielten in unserem täglichen Leben keine Rolle. Wir Kinder gingen in die Christenlehre, 1932 wurde ich in der Nikolaikirche getauft. Wir hatten einen engen Kontakt zu unseren Eltern, eine sehr fürsorgliche Mutter. Ich kann mich an gemeinsame Ausflüge nach Warnemünde, mit der Eisenbahn nach Pölchow oder in die Rostocker Heide erinnern. Auch Fahrradtouren habe ich mit meinem Vater unternommen, nach dem er mir mit acht oder neun Jahren das Radfahren auf der Reiferbahn beigebracht hatte.“

Albrecht ging in den Fröbelschen Kindergarten der Marie Bloch, Ostern 1932 wurde er in die Grundschule von Röse Dähn im gleichen Haus eingeschult und Ostern 1935 als Gymnasiast in die Große Stadtschule aufgenommen.

Mit dem 9. November 1938, dem 10. November in Rostock, trat die von den Eltern lange befürchtete Situation ein. Während des Pogroms wurde Richard Josephy verhaftet und ins Gefängnis nach Neustrelitz verschleppt, im Haus der Familie wütete die SA. Albrecht: „Meine Mutter entschied, dass meine bei-den älteren Schwestern, Brigitte und Renate, und ich sofort in die Schweiz ausreisen sollten. Am 17. November brachte sie uns nach Berlin, von wo wir drei dann mit dem Zug über Frankfurt und Freiburg nach Basel weiterfuhren. Dort erwarteten uns zwei Familien. Die eine, die eines Hausarztes aus Riehen bei Basel, nahm Brigitte und mich, die andere, die eines Juristen, nahm Renate auf. Beide Familien wurden für mich und meine Schwestern im Laufe der Jahre zu mehr als nur ‚Ersatzfamilien’. Mit ihrer Fürsorge und Liebe erleichterten sie uns Kindern, die wir 1938 noch nicht einmal in der Pubertät waren, die Trennung von unseren Eltern zu ertragen und das neue, doch auch völlig unbeschwerte, von den Belastungen in Deutschland freie Leben zu beginnen.“

Nach seinem Abitur studierte Albrecht von 1946 bis 1950 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich Chemie, trat 1951 in die Basler Firma Sandoz als Chemieingenieur ein, um für das Unternehmen in Kanada und Brasilien bis 1955 zu arbeiten. In diesem Jahr kehrte er nach Basel zurück. Bis zu seiner Pensionierung, 1991, war Albrecht hier für Sandoz tätig.
1962 heiratete er Susann Hablützel. In den Jahren 1963, 1964 und 1968 kamen die Kinder Christian, Barbera und Martin zur Welt. Die Familie lebte und lebt in Riehen bei Basel. Hier ist Albrecht in der Nacht vom 5. zum 6. Januar 2024 in seinem Haus im Kreis seiner Frau, seiner Kinder und Enkelkinder eingeschlafen.

Im Spätherbst 2023 habe ich Albrecht ein letztes Mal in Riehen besucht. Schon sehr geschwächt hat er die meiste Zeit des Tages gelegen und geschlafen. War er wach, konnte man mit ihm sprechen und philosophieren, wie wir es im Verlauf von fast dreißig Jahren immer wieder taten. Ich habe dabei viel erfahren, was kaum aus Büchern zu lernen ist. Anfangs noch sehr vorsichtig, hat er mir schnell bedeutet, dass wir über alles reden können.
Gemeinsam spazierten wir auch ganz konkret durch seine „Lebensräume“ in Rostock, Basel, Riehen und auch in Zürich. Dort kam es in einem Café zu folgender Begebenheit. Eine Kellnerin sprach ihn an: „Sie kommen aus Basel, das hört man sofort.“ Ich dachte bei mir, wenn die Frau wüsste, welchen Lebensweg dieser Mann hinter sich hat. Es zeigt aber auch, wie wichtig Albrecht die Integration in seine neue Heimat war, auch sprachlich. So konnte er 1992 wieder nach Rostock zurückkehren und offen sein, für neue – deutsche – Freunde.

Jan-Peter Schulze
Rostock, im Januar 2024

 

Freunde erinnern sich...

Seit Jahren traf ein „Weihnachtsbrief“ von Josephys an Verwandte und Freunde ein, also erst kürzlich wieder. Auf einem der beiliegenden aktuellen Fotos sehen wir Albrecht Josephy, jetzt wirklich als Greis, als ein schöner, freundlicher, aufmerksamer Greis, von seiner Frau Susann behütet. Ja, als die Nachricht von seinem Tod bei uns eintraf, war unser erster Gedanke: Er war einer der freundlichsten Menschen, denen wir begegnet sind. Sein Brief enthält den dankbaren Hinweis, dass er (erst) seit dem vergangenen Sommer „der Älteste in der Familie Josephy“ war. Mit zitternder Hand hat der Freund seinen Wunsch „für uns und für euch“ unterschrieben: Wir möchten „von Unbill verschont bleiben“. Er wusste, was dies altmodische Wort alles bedeuten kann.
- Helga und Fred Mahlburg -

Gern denken meine Frau und ich an den sonnigen Nachmittag im Sommer 2012 mit Albrecht Josephy und seine Frau Susann bei uns im Garten in Warnemünde zurück. Es war beeindruckend, wie Albrecht Josephy aus seiner Familiengeschichte, seinem Leben in der Schweiz und den Kindern und Enkelkindern berichtete. Genauso interessiert waren sie, Vieles aus unserem Leben in Rostock zu erfahren. Familie Josephy schrieb uns dann zu Weihnachten, wie dankbar sie sei, dass durch die herzliche Aufnahme im neuen Bekanntenkreis „Rostock“ für sie mehr wurde als nur ein Name.
- Dieter Neßelmann -

Albrecht, Dir begegnet zu sein, mit Dir befreundet zu sein, hat mein Leben bereichert.
Wie sehr Du Dich für Menschen interessiertest, und zwar wirklich!
Wie stark Du Dich mit dieser Zeit auseinandersetztest und in ihr wirksam wurdest!
Wie interessiert Du die Entwicklung unseres Max-Samuel-Hauses begleitetest, Du stets ein aufrichtiger und verlässlicher Ratgeber warst!
Du fehlst mir.
- Ulrike Oschwald -

Albrecht Josephy und seine Frau Susann sind uns über die Jahre zu Vertrauten geworden. Der Besuch im Kunstmuseum Ahrenshoop am Hohen Ufer samt Tortengenuss im Cafè gegenüber, die Fischmahlzeit auf dem Fischereihof Detlefsen, Parkentin oder die wunderbare Schifffahrt mit dem „Warnowlöper“ Schwaan-Werle-Schwaan, begleitet von einem Teppich Seerosen, sind wertvolle Erinnerungen.
Einen besonderen Anlass der Begegnung in Schwaan gab 2016 die Ausstellung „Von Moses Abraham bis Willi Marcus. Zur Geschichte jüdischen Lebens in Schwaan.“ Ausstellung und nachfolgende Publikation 2017 berühren auch den Schwaaner Zweig der Familiengeschichte Josephy/Marcus. Zu diesem Anlass wie zur Einweihung der „Stolpersteine“ für Willi, Paula und Alice Marcus an einem kalten Februartag 2020 am Pferdemarkt 7 konnten wir Albrecht und Susann in Schwaan begrüßen. Tiefen, bleibenden Eindruck haben die Lebenserzählungen des betagten, dem Leben zugewandten Mannes insbesondere bei Schülern der Prof.-Franz-Bunke-Schule hinterlassen. Danke!
- Hella und Klaus Ehlers -

Ich habe mich sehr gern an unser letztes Treffen im Garten des Max-Samuel-Hauses 2021 zu seinem 95. Geburtstag erinnert. Seine warmherzige Art, mit leuchtenden Augen über seine Verbundenheit mit Rostock zu erzählen, bleibt mir unvergessen. Er war für mich die menschliche Verbindung zu dem dunklen Kapitel in der Rostocker Geschichte der Vertreibung ihrer jüdischen Bürger.
Für mich in besonderer Erinnerung bleibt auch die Fahrt der großen Familie Josephy mit dem Bus der RSAG zu den Wurzeln der Familie im Mecklenburger Umland 2012.
- Jochen Bruhn -