THEMATISCHE ARBEITSSCHWERPUNKTE DES HAUSES
Die wichtigste Aufgabe der Stiftung ist die Vermittlung von Wissen über jüdische Geschichte und Kultur, um damit Antisemitismus und Intoleranz wirksam zu bekämpfen. Ein weiterer Schwerpunkt wird auf die inhaltliche Kinder- und Jugendarbeit gelegt. Für Interessenten gibt es eine im Haus öffentlich zugängliche Bibliothek mit besonderem Schwerpunkt zur jüdischen Geschichte. 14 hauseigene Publikationen zu unterschiedlichen Themen sind bisher veröffentlicht worden. Wir veranstalten Lesungen, Konzerte, Vorträge, aber auch thematische Ausstellungen, z. B. über nahezu vergessene jüdische Persönlichkeiten aus Mecklenburg-Vorpommern. Das Haus entwickelt und zeigt eigene Ausstellungen mit lokalen und regionalen Inhalten bezüglich des Judentums und präsentiert gelegentlich auch Ausstellungen anderer.
Den stärksten Eindruck aber hinterlassen die Stolpersteine, die in Rostock vor den ehemaligen Wohnungen von Holocaust-Opfern in den Bürgersteig gesetzt werden. Diese sind von Privatpersonen und Unternehmen gespendet worden. Weitere Aktivitäten des Hauses finden Sie auch unter der Rubrik Veranstaltungen.
Die Arbeit des Max-Samuel-Hauses wird durch zwei ehrenamtliche Gremien - einen Stiftungsvorstand und ein Kuratorium - begleitet. Zusätzlich engagiert sich der Verein der Freunde und Förderer des Max-Samuel-Hauses e.V.
Die Villa Schillerplatz 10, um 1913.
Das Max-Samuel-Haus in Rostock heute.
DER NAMENSGEBER DES HAUSES
Max Samuel (* 9. Januar 1883 in Argenau, † 2. September 1942 in Blackburn) war ein Unternehmer und Gemeindevorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Rostock.
Reproduktion von Egon Tschirchs (1889–1948) Porträt von Max Samuel aus dem Jahre 1920 und die von ihm erfundene Gummibürste für Wildlederschuhe, Foto 2017
Mit 14 Jahren zog Max Samuel aus dem Königreich Preußen ins Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, um seine Ausbildung im Schuhgeschäft seines ältesten Brudes James Samuel (1871–1933) in Güstrow zu beginnen. Dort erhielt er schon früh die Möglichkeit, eigene Erfindungen zu entwickeln. So entwickelte er u. a. eine patentierte Schuhpflegebürste für Wildlederschuhe. Dank der Entwicklung von Schuhzubehör und orthopädischen Artikeln konnte er dann 1906 seine eigene Firma, die EMSA-Werke in Güstrow, gründen. Im selben Jahr heiratete er Berta Geßner (1878–1937), Tochter des bayerischen Lehrers und Gemeindekantors Jakob Geßner (1848–1937). In Güstrow wurden Sohn Herbert (1907–1992) und Tochter Käthe (1910–1987) geboren.
Familie und Gäste an Max Samuels fünfzigstem Geburtstag, 1933.
Die Bedingungen für seine expandierende Firma waren in Güstrow nicht günstig. Daher kaufte er ein Grundstück in der Rostocker Friedrichstraße und baute seine Fabrik auf, in der zeitweilig über 150 Mitarbeiter beschäftigt waren. 1921 erwarb er die Villa am Schillerplatz 10 als Wohnhaus. Die Villa, fertiggestellt im Jahr 1912, war vom Architekten Paul Korff (1875–1945) für den Physiologie-Professor Hans Winterstein (1879–1963) entworfen worden, der es verkauft hatte, nachdem er einen Lehrstuhl an der Universität Breslau angenommen hatte. 1923 wurde Max Samuel Gemeindevorsteher der Jüdischen Gemeinde in Rostock. Diese war die größte jüdische Gemeinde im damaligen Mecklenburg. Mit diesem Argument erreichte er, dass das Landesrabbinat und der Oberrat von Schwerin nach Rostock verlegt wurden. Kurz nach der Novemberrevolution 1918 trat Max Samuel der im selben Jahr gegründeten Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bei. 1930 wurde er in den fünfköpfigen Landesvorstand der Deutschen Staatspartei (DStP) gewählt, der Nachfolgerin der DDP. 1930 übernahm er den Vorsitz des Israelitischen Oberrates von Mecklenburg-Schwerin. Gesellschaftlich engagierte er sich in der Korporation der Kaufmannschaft und war Mitglied der Landes-Universitäts-Gesellschaft.
Nach Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 konnte Max Samuel beide Funktionen nicht mehr ausführen. Er beschränkte seine Aktivitäten auf seinen Betrieb und die jüdische Gemeindeleitung. Hier sorgte er für die Sicherung jüdischer Friedhöfe in Mecklenburg und versuchte, bei den Gemeindemitgliedern die geistige Selbstbehauptung zu stärken. Er kümmerte sich besonders um die immer wichtiger werdende Gemeinde-Sozialarbeit. Viele wegen ihres Glaubens entlassene Arbeiter stellte er in seinen Werken ein, sorgte für Ausreisepapiere oder Reisegeld.
Sein Sohn Herbert emigrierte 1934 ins englische Blackburn, um dort ein Zweigwerk der EMSA-Werke zu gründen. 1936 folgte die Tochter Käthe. 1937 starb seine Ehefrau Berta. Nach Beschlagnahme der Firma folgte Max Samuel im Frühjahr 1938 den Kindern ins englische Exil, obwohl er oft erklärt hatte, Deutschland nicht verlassen zu wollen.
DAS HAUS ZWISCHEN 1939 UND 1991
Zwischen 1938 und 1945 wurde die Villa vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Pflanzenforschung, einem Zweig der Vorgängerin der heutigen Max-Planck-Gesellschaft, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, als Labor genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hier der Kulturbund Rostock gegründet. Danach zog die städtische Schulbehörde ein und blieb bis Mitte der 1950er Jahre. 1955–1991 wurde das Haus als Kindertagesstätte genutzt.
GESCHICHTE DER MAX-SAMUEL-HAUS STIFTUNG
Obwohl dies von der damaligen kommunistischen Regierung nicht begrüßt wurde, begann Frank Schröder (1958–2014), zu der Zeit ein Stadtarchivist Rostocks, die Geschichte der Rostocker Juden zu erforschen und später Kontakte mit anderen Interessierten aufzubauen, die sich in der Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum mit Christiane Niemann unter dem Dach der Evangelisch-lutherischen Kirche Mecklenburgs trafen.
Durch Gruppenmitglieder, die nie den Kontakt zu ihren jüdischen Freunden abgebrochen hatten, die aus Deutschland geflohen waren, fing der Kreis an, diese zu interviewen, um die Archivfunde und lokalen Personenakten zu ergänzen, zu bereichern und zu veranschaulichen. Um ostdeutsche Beziehungen zu den USA Mitte der 1980er zu verbessern, begannen ostdeutsche Kommunisten, den vorher zum Schweigen gebrachten Interessenten zu gestatten, über den Antisemitismus und die Opfer der Nazis zu berichten. Die Ostblockmächte sahen die Juden gewissermaßen als diejenigen, die ihnen die Türen zum Weißen Haus öffnen können würden.
Plötzlich gestattete die kommunistische Regierung die ersten Publikationen und öffentlichen Vorträge über Juden und ihr Schicksal, die natürlich die antisemitischen Bestimmungen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland nach 1945 übersprangen. Sie erlaubte der Kirche Mecklenburg, den ehemaligen Rostocker Yaakov Zur (geb. Alfred Jacques Zuckermann; 1924–2013), der damals in Israel lebte, für einen Vortrag nach Rostock einzuladen, wohingegen die antizionistischen Ostblockmächte jeden Austausch mit Israel abblockten. Tatsächlich waren die Rostocker Interessierten eine der wenigen Initiativen, die ihre jahrelangen privaten Recherchen in eine der wenigen ostdeutschen Publikationen über dieses Thema umsetzen konnten.
Kopien von ostdeutschen Zeitungsartikeln über jüdische Rostocker und das Buch von Ingrid Ehlers und Frank Schröder (Zwischen Emanzipation und Vernichtung: Zur Geschichte der Juden in Rostock, Rostock: Stadtarchiv, 1988) verbreiteten sich unter ehemaligen Rostockern, die westlich des Eisernen Vorhangs lebten, wodurch auch Herbert Samuel sie über mehr als einen Postweg erhielt.
Mit dem Ende der ostdeutschen Diktatur im November 1989 konnte die kommunistische Vernachlässigung der Juden und der berüchtigte Antizionismus des Ostblocks enthüllt und kritisiert werden. Die Idee, ihre Forschungsergebnisse in einem Haus zu präsentieren, das früher einer Rostocker jüdischen Familie gehört hatte, kamen erstmals Ende 1989 auf. Die neugewonnenen Freiheiten ermöglichten Schröder und seinen Mitstreitern, im Januar 1990, offiziell die «Vereinigung für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock e.V.» zu gründen, die im Juni 1990 eingeschrieben wurde, nicht lange vor der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober desselben Jahres.
Nach dem Ende der DDR hatte Herbert Samuel, der Sohn von Max Samuel, die Möglichkeit, sein Elternhaus zurückzuerhalten. Er und Schröder begannen eine direkte persönliche Korrespondenz ab Februar 1991 und entwickelten die Idee, die Villa am Schillerplatz 10 zu einer Unterkunft für diese Vereinigung zu machen. Mitte Juli 1991 konnte sie in einen ersten Mietraum in der Dachgeschosswohnung der Villa einziehen. Herbert Samuel entschied schließlich, dem Wunsch vieler Rostocker nach einer «Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock» zu folgen und übergab am 22. August 1991 das Wohnhaus an die Stiftung, die mit ihrer Arbeit das Andenken an Max Samuel und an die vielfältige jüdische Geschichte in Rostock aufrechterhält.
Am 2. September 1991, dem 49ten Jahrestag von Max Samuels Tod, hielt der Vorstand der Stiftung seine Eröffnungssitzung ab. Die Kindertagesstätte zog aus und am 2. Oktober wurde die Villa, seitdem Max-Samuel-Haus genannt, ihrem neuen Zweck als Begegnungsstätte für Rostocker jüdische Kultur gewidmet, Treffpunkt, Kulturstätte und Forschungseinrichtung, geführt von der Stiftung.